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(Timeline: Die Nacht nach der Ankunft in Siegmars Dorf)
Wie eine schützende weiche Decke hatte sich die Dunkelheit über das Dorf gesenkt. Die erste Nacht seit ihrer Flucht ohne das Geräusch des niederprasselnden Regens und auch die erste, in der viele Marser endlich wieder ruhig schlafen konnten. Es war eine laue, sternenklare Nacht - und doch war sie von unsichtbaren Schatten durchzogen, die die schlafenden Flüchtlinge in ihren Träumen heimsuchten.
Auch der junge Knochenschnitzer hatte nur kurz geschlafen. Dank des Aufgusses, den die Heilerin ihm gegen seine Beschwerden verabreicht hatte, konnte er eine Zeitlang Ruhe finden, doch sein Schlaf war von den wirren, angsteinflößenden Bildern der letzten Tage durchzogen. Als er schließlich durch seine Träume aufwachte, war da wieder dieser Schmerz in seinem Kopf. Hämmernd, auf- und abschwellend wie damals bei der Bedrohung durch Raban.
Still lag Ragnar auf seinem Lager, kniff die Augen zusammen und hielt beide Handflächen gegen die Stirn gepreßt.
Er wußte, der namenloser Schmerz, den seine Schwester gerade aushalten mußte, war weitaus schlimmer als diese verflixten Kopfschmerzen. Amalia brauchte wie alle anderen dringend Ruhe und vor allem den Beistand ihrer Familie, seitdem sie Aswin verloren hatte. Larcia litt nicht weniger unter dem Streß - in den letzten Tagen hatte sie unheimlich blaß und müde ausgesehen. Romaeus war von der anstrengenden Reise einfach nur todmüde und an diesem Abend zum Glück früher eingeschlafen.
Doch so sehr Ragnar auch versuchte, dem Atem seines Sohnes zu lauschen, er konnte trotzdem keinen Schlaf mehr finden. So stand er schließlich leise auf, um barfuß nach draußen zu huschen.
Mit einem leisen Seufzer ließ er sich auf der Bank vor der Gästehütte nieder. Den Kopf gegen die Wand gelehnt, starrte er hinauf zu den Sternen. Hell und freundlich zwinkerten die silbrigen Punkte in die Nacht hinein, fast so, als wollten sie mitteilen, daß sie die dunklen Wolken verscheucht hatten.
Ragnars Gedanken schweiften zurück zu jener Nacht, in der er Larcia vor Manius gerettet hatte. Damals hatten die Sterne genauso vom Himmel gefunkelt - und Larcia und er hatten jenes erste vertrauliche Gespräch geführt, dem so viele andere gefolgt waren. Ein leises Lächeln glitt über sein Gesicht, als er daran dachte, wie Larcias Augen ihn immer an Sterne erinnerten, wenn sie glücklich war ...
bearbeitet von Ragnar am 16.08.2010 23:44:50
16.08.2010 23:43:48
Dagny Beitrag zitieren Beitrag bearbeiten Beitrag löschen
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Auch Dagny konnte nicht schlafen. Wie denn auch, wenn die Bilder der toten Eltern ihr immer wieder in ihren Kopf kamen? Lange lag sie da, auf ihrem Lager in der Gästehütte...
Und immer wieder sah sie vor sich, wie die Augen ihrer armen toten Eltern sie anstarrten, als wollten sie sie um Hilfe anflehen, Hilfe die sie nicht mehr bekommen konnten.
Erneut kamen ihr die Tränen, wie schon so oft...sie war allein. Obgleich Godwina sie getröstet hatte, auch wenn Dagny jetzt bei Thyra und so weiter weilte, sie fühlte sich allein...
Zudem hatte sie eine dunkle Ahnung in sich. Ihr kleiner Freund Mathi...sie hatte ihn nicht mehr gesehen seit sie losgezogen waren. Wo war er? Sie hatte insgeheim den ganzen Tag über Ausschau nach ihm gehalten, doch sie hatte ihn nicht erspähen können...
Sie ahnte, dass er nicht mehr da war...dass er ebenfalls ein Opfer geworden war...und das befleckte ihr reines Herz mit noch mehr Trauer und Verzweiflung. Sie fühlte sich allein unter den restlichen Freunden und Bekannten...
Sie hatte das Gefühl, dass trotz des Verständnisses, das sie alle ausdrückten, niemand sie wirklich verstehen konnte. Sie sehnte sich nach etwas...doch was war das?
Eine Art Retter in der Dunkelheit...jemand der sie verstand...jemand, bei dem sie sich wirklich geborgen fühlen konnte...
Doch so jemanden gab es nicht. Nicht einmal Jandrik, den sie übrigens auch nicht gesehen hatte...doch, einmal kurz, aber er wich ihrem Blick aus, als sie ihn ansehen wollte. Er wollte wohl nichts mehr mit ihr zu tun haben...warum auch immer..
Tränen liefen ihre Wangen hinab, als sie sich erhob und aus der Hütte schlich.
Selbst hier, in Siegmars Dorf, wo sie als Gäste aufgenommen wurden, schlug sie über die Strenge und schlich sich vom Schlaflager davon, nach draußen, um die Sterne zu sehen...
Die Sterne hatten es gut, sie funkelten und leuchteten immerdar, nichts konnte ihr Licht jemals trüben...wie gern wäre sie einer von ihnen, ohne jede Trauer, ohne Sorgen...ohne Schmerz...
Tanfana gab ihr ebenfalls nicht mehr die Geborgenheit, die sie suchte. Sie wusste, eigentlich sollte sie das, aber im Moment...war da garnichts. Nur der Schmerz und die Verzweiflung, die sie erdrückten...
Langsamen Schrittes ging sie barfuß draußen herum..
Sie merkte gar nicht, wo sie langging, bis sie schließlich vor einer anderen Hütte noch jemanden sitzen sah. Zuerst erschrak sie leicht, doch dann erkannte sie Ragnar..
Zögernd ging sie auf ihn zu und setzte sich schweigend neben ihn...
17.08.2010 00:01:32
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Unbewegt saß Ragnar da, lauschte auf die leisen Geräusche der Nacht. Sein Blick verlor sich in den endlosen Weiten der Sterne, bis eine neue Schmerzwelle die leuchtenden Punkte vor seinen Augen verschwimmen ließ.
Tief durchatmend schloß er sie abermals. Der Wind raschelte leise in den Blättern der Bäume, fuhr ihm durch die Haare. Irgendwo im Dorf, in weiterer Entfernung, drang das Weinen eines Säuglings durch die Nacht. Ein so vertrauter und doch so fremder Laut ... Schritte kamen näher, jemand setzte sich neben ihn.
Ragnar blinzelte und drehte gleichzeitig den Kopf. Nur um im nächsten Moment verwundert die Augenbrauen zusammenzuziehen.
"Dagny ...?" Er hatte gedacht, gehofft, daß es Amalia war. Doch jetzt, im Nachhinein fiel ihm auf, daß die Schritte von woanders hergekommen waren.
"Du solltest nicht allein durch ein fremdes Dorf spazieren, mitten in der Nacht", merkte der er müde an, warf dem jungen Mädchen jedoch ein mildes Lächeln zu. Er konnte jeden verstehen, der in diesen Nächten keinen Schlaf fand.
Ein leises, kaum merkliches Stöhnen entwich ihm, als er ausatmete und sich wieder zurücklehnte. Wieder schloß er für einen Moment die Augen. Ragnar fühlte sich todmüde, aber der Schmerz bohrte sich ebenso durch seinen Kopf, wie die Trauer um Aswin sich einem Pfeil gleich in Amalias Herz gebohrt hatte.
17.08.2010 00:28:29
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Dagny nahm den Schmerz wahr, den Ragnar verspürte, und sie verzog leicht das Gesicht, sah kurz zur Seite. Anschließend blickte sie ihn aus leeren Augen wieder an.
"Ist doch egal, ob es für mich gefährlich ist... oder ob ich das sollte oder nicht... es ist ALLES egal....jetzt...."
Die Trauer hatte tiefe Wunden in ihr hinterlassen, und es war ihr tatsächlich egal, ob jemand sie ermahnte, sie schimpfte oder was auch immer. Langsam aber sicher hatte sich etwas in ihr breit gemacht, von dem niemand anderer jemals wissen konnte. Sie spürte die immer stärker werdende Sehnsucht, zu ihren Eltern zu gelangen...leise, schleichend, ergriff es von ihr Besitz.
Das Leben wurde ihr von Tag zu Tag von nun an immer egaler. Sollte sie doch irgendwo herunterfallen oder einem Wolf zum Opfer fallen. Dann würde sie wenigstens bald erlöst und bei ihren geliebten Eltern sein. Es brauchte sie doch sowieso niemand. Sie war überflüssig...sie würden alle genauso gut zurechtkommen ohne sie. Dagny war doch nur ein Maul mehr, das gestopft werden musste...jemand, um den sich gekümmert werden musste. Wenn sie nicht mehr wäre, dann hätten es alle leichter...einschließlich sie selbst.
Doch sie würde niemals absichtlich...den Tod verursachen. Die Hoffnung, dass sie zufällig irgendeinem Tier zum Opfer fiel oder unglücklich stürzte oder ertrank, was auch immer...die war jedoch in ihr, noch leise und schleichend, doch bald würde es stärker werden.
Ragnar hatte eine Familie...ein Kind...eine Frau..eine Schwester...die ihn alle liebten. Außerdem war er nützlich für das Dorf. Sie war nicht im geringsten nützlich...
"Du hast Schmerzen...", stellte sie nüchtern fest und sah ihn an. Augen, die überhaupt nicht mehr lebendig erschienen...leer...ohne jedes Strahlen..
17.08.2010 00:41:04
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Für den Augenblick ihrer Antwort klang Dagnys Stimme mit einemmal viel älter, ebenso kühl und nüchtern, wie sonst nur Thyra mit ihren Mitmenschen sprach. Ein paar Sekunden lang hielt Ragnar ihrem leeren Blick stand, dann sah er wieder hinauf zum Sternenhimmel.
"Nur Kopfschmerzen", erwiderte er halblaut. "Die hab ich öfter, wenn ich Streß hab." Mit dem Handrücken fuhr er sich über die Augen, blinzelte abermals, bis seine Sicht wieder klar wurde. Er war sicher, es würde bald wieder weggehen. Immerhin hatte der Kräutersud vorhin auch dagegen geholfen. Kurz zögerte er, wandte sich schließlich erneut zu Dagny um. Er glaubte zu ahnen, was das Mädchen so sehr bedrückte, daß es glaubte, keine Hoffnung mehr zu haben.
"Es ist nicht egal, Dagny", sagte er ruhig. "Gerade jetzt nicht. Wir haben überlebt. Und somit auch unsere Nachkommen - unsere Zukunft. Alan wird durch Eilas Kind weiterleben ... Aswin in den Herzen seiner Familie und meiner Schwester. Swanas Kind wird die Erinnerung an seinen großen Bruder ehren, so wie Friyas Kind die an Mathi. Grimoalds und Livias Kind wird hoffentlich wie unser Romaeus ein bißchen mehr Frieden in die Welt bringen, und", wieder machte er eine Pause, da er nun das ansprach, was Dagny am meisten weh tun mußte.
"Auch deine Eltern sind jetzt an einem besseren Ort, Dagny. Sie sind ehrenvoll gestorben und ihre Liebe wird immer bei dir bleiben. So wie du sie auch immer lieben wirst. So wie ich meine Eltern und meinen Bruder Hagan liebe, obwohl sie nicht mehr da sind." Etwas ähnliches hatte er, lange vor der Schlacht, bereits dem kleinen Dietwolf erzählt. Zwar war Dagny beiweitem keine Fünfjährige mehr, aber Ragnar hoffte trotzdem, ihr ein wenig Trost spenden zu können.
17.08.2010 01:28:04
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Was Ragnar sagte, das klangt zwar irgendwie tröstlich und auch schlüssig und eigentlich auch richtig...doch für Dagny selbst waren es wie leere Worte. Bedeutungslos...ohne wirklichen Inhalt...ohne Wahrheit. Zumindest in Bezug auf sie selbst...
Ihre verzweifelten Augen suchten Ragnars, und langsam bewegte sich ihr Kopf hin und her.
"Kopfschmerzen? Du machst mir nichts vor...auch wenn du das sebst glaubst...es ist mehr als das..."
Sie spürte es ganz deutlich. In ihm waren viel mehr körperiche Wunden als er womöglich ahnte. Was genau es war, das konnte sie natürlich nicht wissen, sie war keine Heilerin. Aber sie spürte, dass es nicht so harmlos war, wie Ragnar ihr sagen wollte...
Erneut wurden ihre Augen noch verzweifelter, und Tränen befeuchteten die Ränder der Augenöffnungen.
"Ich habe überlebt...ja...und gerade das bereitet mir solchen Schmerz...ich kann damit nicht umgehen, Ragnar. Es zerreißt mich, erdrückt mich...Nachkommen? In meiner Familie...von der nur ich übrig bin...wird es keine Nachkommen geben...daran glaube ich nicht. Ich tauge nicht dazu, und kein Mann wird jemals Interesse daran haben. Ich bin zu unheimlich...meine Gabe...mein FLUCH...die Bezeichnung finde ich passender...jedenfalls wird es alle abschrecken. Ich habe keine Zukunft...du hast eine...alle haben eine...aber ich nicht. Ich kann so vieles sehen, ich spüre die Zukunft...aber in Bezug auf mich....sehe ich garnichts...du glaubst es mir nicht, weil mich scheinbar alle mögen...aber ich fühle mich unsagbar einsam...einsamer als du es dir je vorstellen kannst. Und das liegt nicht nur daran, dass meine Eltern mir genommen wurden...sondern daran, dass ich anders bin. Anders und doch unbrauchbar...für alle!"
Sie glaubte wirklich daran, dass sie zu nichts zu gebrauchen sei. Sie hasste Hausarbeit, sie hasste ihre Gabe...und sie hatte keine Bezugsperson außer Thyra, und die konnte ihr nicht alles das geben, was sie eigentlich brauchte...sie brauchte Liebe, und eine Wala konnte keine Liebe geben...
Ein kurzes Schluchzen unterbrach die erneute Stille.
"Ich wäre gern bei ihnen, Ragnar...ich will zu meinen Eltern an diesen besseren Ort! Ich will...nicht mehr hier sein...ich habe kein Zuhause mehr...ich wohne zwar jetzt bei Thyra, aber....ich bin doch da nicht zuhause! Zuhause war ich bei meinen Eltern....und da will ich auch wieder hin!"
Nie wieder würde sie sich irgendwo wirklich zu Hause fühlen....das wusste sie..
17.08.2010 02:04:26
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Verwirrt musterte Ragnar das junge Mädchen, das offenbar selbst gegen ein Chaos innerer Gefühle ankämpfte. Im Normalfall wäre es ihm vielleicht möglich gewesen, Dagny ein Stück weit aufzufangen, doch im Moment untergrub das Pochen in seinem Kopf jegliches logische Denken.
Aber Dagnys Worte und das Gefühl, welches sie in ihm auslösten, sagten ihm, wie verzweifelt sie sein mußte. Eine andere Verzweiflung als bei Amalia, jedoch ähnlich und genauso tief. Eine Verzweiflung, die lähmte. Die Trauer um ihre Eltern, die das Gefühl wohl noch schlimmer machte. Er kannte es von Pharamond, von den Monaten damals, als er von Larcia getrennt gewesen war und um sie gebangt hatte. Dennoch würde er nie genau wissen, wie sein Bruder sich nach Ranias Tod gefühlt hatte und wie schwer Aswins Verlust auf dem Herzen seiner Schwester wog.
Doch hier und jetzt saß diese junge Frau neben ihm, die vollkommen überfordert war mit ihren Gefühlen, mit diesem Schicksal, das sie alle härter denn je getroffen hatte. Selbst ihm fehlten angesichts all des Leids die Worte, jedoch merkte Ragnar, daß Dagny kurz davor stand, den Halt zu verlieren.
Langsam senkte er die Hand und umfaßte die schmalen Finger der Jüngeren. Trotz der Schmerzen zwang er sich, die Augen offen zu halten und ihrem Blick zu begegnen. Obwohl er gewissermaßen hilflos gegenüber ihren Gefühlen, wie auch ihrem großen Schicksal als mögliche Wala war, wollte er wenigstens versuchen, sie ein wenig zu trösten. Und so fand er auch diesmal ähnliche Worte wie bei Dietwolf, in dem Versuch ihr klar zu machen, daß Tod und Verlust nicht das Ende bedeuteten.
"Als meine Mutter gestorben ist ... Ich war erst sieben und konnte kaum begreifen, was mit ihr geschehen ist. Sie war plötzlch nicht mehr da - und niemand konnte je diese Lücke füllen, auch wenn Pharamond, Hagan und mein Vater sich sehr darum bemühten. Wie stark Liebe sein kann, hab ich erst wirklich erfahren, als ich Larcia kennengelernt hab. Und doch lagen in dieser Liebe auch der Schmerz und Verlust meines Bruders, meiner ganzen Familie. Ich hab immer wieder ... nachts im Sklavenlager heimlich geweint", gab er halblaut zu. Dies war ein Geheimnis, das er noch nicht einmal Larcia erzählt hatte.
"Ich hatte nichts als Ungewißheit, was mit ihnen passiert ist. Dann lernte ich Larcia näher kennen und es half mir, mit dem Verlust fertig zu werden. Bis ich sie verlor, als ich mit Romaeus fliehen mußte - und dafür Pharamond und Amalia wiederfand." Er drückte ermutigend Dagnys Hand, während sich ein weiteres warmes Lächeln über seine Lippen zog.
"Du weißt, wie unsere Geschichte ausging. Oder sieh dir Swana und Marwin an. Sie haben alles bei dem Brand verloren. Ihre Familie, ihr Heim - Marwin sogar seine Freiheit. Aber am Ende haben sie sich doch wieder gefunden. Und da ist noch was -", Ragnar hielt inne, stützte die Stirn kurz auf die Fingerspitzen und massierte damit die Stelle zwischen seinen Augenbrauen, ehe er wieder aufsah.
"Dort, wo die Ruinen von Swanas Hof stehen ... dort wachsen jetzt Blumen und Büsche ... vielleicht bald sogar Bäume. Was ich damit sagen will, ist - auch wenn etwas sinnlos und schrecklich erscheint, es gehört trotzdem zum Leben. So wie jetzt die Sterne. Die Nacht ist dunkel und trotzdem hell, und wenn Wolken aufziehen, verdecken sie nur die Sterne. Und es gibt Tiere und Pflanzen, die nur in der Nacht leben können. Irgendwo und irgendwann entsteht aus der was gutes. Und ich bin sicher, du wirst es finden, Dagny. Die Zeit wird auch deine Wunden heilen, ganz gleich ob sichtbar oder ... unsichtbar."
Ihr Gesicht verschwamm vor seinen Augen. Wie auf's Stichwort spürte er erneut das schmerhafte Ziehen hinter seiner Stirn. Ragnars Hand, die immer noch die von Dagny hielt, löste sich von ihr und er stützte nun beide Schläfen mit den Fingerspitzen ab. Seine Fingerspitzen rieben in langsamen, kreisförmigen Bewegungen über die linke Seite; ansonsten verharrte er reglos, bis die Schmerzattacke vorüber war.
bearbeitet von Ragnar am 17.08.2010 21:13:32
17.08.2010 02:52:05
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Natürlich verstand Dagny, was er sagen wollte. Doch sie war noch so jung und konnte das nicht so recht glauben. Dagny konnte sich nicht vorstellen, dass dieser Schmerz jemals gelindert werden würde...
Und doch merkte sie, dass es ihr gut tat, mit ihm zu reden, seine Worte erzielten etwas...sie trafen sie ins Herz, und sie betrachtete ihn. Er war wie ein großer Bruder, den sie schon immer wollte. Sie hätte jetzt fast erwartet, dass er sie ausschimpfen würde, das hätten wohl viele getan. Sie hatte einfach so eine negative Ansicht der Dinge, und das war völlig normal nach solchen Verlusten.
"Ich weiß ja...aber trotzdem...ich komm allein nicht damit zurecht...Thyra wird mich nicht mehr lange trösten, sie wird mit der Ausbildung beginnen wollen..."
Langsam wandte sie ihren Kopf wieder ihm zu, nachdem sie ihren Blick hatte über das Dorf schweifen lassen. Er hatte Schmerzen, und noch etwas anderes war da...sie konnte es spüren.
"Mit dir stimmt was nicht...irgendwas ist nicht richtig, die Schmerzen sind nicht das einzige...irgendwas ist da...ich finde, du solltest dich hinlegen..."
Besorgt wurde ihr Blick. Ragnar durfte nicht auch noch etwas passieren, ihrem großen Bruder, der keiner war...ja, so sah sie ihn jetzt. Sie beschloss, dass sie ihn wohl öfter aufsuchen würde in Zukunft. Sie wusste es noch nicht wirklich, aber sie hatte ihn unterbewusst als eine Art Bezugsperson ausgewählt...
17.08.2010 20:49:20
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Das Hämmern ging ein wenig zurück, doch die Umgebung flimmerte immer noch leicht. Dennoch hielt Ragnar seine Aufmerksamkeit auf das Mädchen gerichtet, als sich ihre Blicke erneut trafen.
"Dagny!" Abermals lächelte er ihr zu, schüttelte zugleich leicht tadelnd den Kopf. "Quäl dich doch nicht so ... Du mußt bedenken, Thyra hat ein genau solch großes Schicksal zu tragen, welches die Götter dir auferlegt haben. Wir alle haben ... unter diesen Tagen zu leiden. Aber wenn ich eins gelernt hab, dann ist es, mit anderen darüber zu reden. Deine Sorgen mit Freunden zu Teilen, die denselben Schmerz wie du erlebt haben, macht die Last etwas leichter - ganz egal, wer es ist. Sie werden dich verstehen, genauso wie ich, hmm?"
Ihre Besorgnis über seine Kopfschmerzen nahm er mit einem einsichtigen Nicken hin. Daß ihm inzwischen so schwindlig war, konnte eigentlich nur ein Zeichen seiner völligen Übermüdung sein.
"Ich glaub, du hast recht." Sich mit einer Hand am Tisch abstützend, richtete er sich langsam auf. Trotzdem schien die welt um ihn herum zu schwanken und er mußte zum Wiederholten Male die Augen zusammenkneifen.
"Du solltest auch ins Bett gehen, die Ruhe wird zumindest deinem Körper helfen", schlug er ihr vor. "Und falls du Alpträume kriegst .... auch dann hilft reden, und mit der Zeit werden sie weniger werden." Er drückte zum Abschied ihre Schulter.
"Gute Nacht dir."
17.08.2010 22:17:23
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Natürlich verstand Dagny, was er ihr sagen wollte. Und er hatte zum Teil auch Recht, sie fühlte sich tatsächlich etwas besser als noch vorher. Natürlich würde das nur ein paar Minuten oder maximal zwei Stunden halten, aber...es war immerhin ein Anfang.
"Danke...dafür, dass du mit mir redest...und deine Zeit für mich opferst obwohl es dir auch gesundheitlich nicht gut geht..."
Das dankte sie ihm wirklich. Er wusste es nicht, aber er gab ihr das, was sie ihr ganzes Leben lang irgendwie vermisste. Er war alt genug um weise zu sein, und das war er in ihren Augen auch. Zudem war er so verständnisvoll und auch aufopfernd. Sie mochte ihn sehr und hoffte, dass er ihr auch in Zukunft öfter mit Rat und Tat zur Seite stehen konnte...
"In Ordnung...ich werde mich wohl auch wieder in meine Hütte begeben und mich hinlegen...ich werde bei Alpträumen aber Thyra lieber nicht wecken...sie braucht auch ihren Schlaf..."
Sie sah ihn noch einmal an und lächelte kurz und zaghaft.
"Danke...dir auch...und...sei vorsichtig..."
Was mochte sie damit meinenß Spürte sie etwas, etwas von dem sie nicht genau wusste was es war? Etwas, das mit den Schmerzen zu tun hatte, die ihn plagten? Hauptsache er war vorsichtig und ihm würde nichts passieren...
Sie sah ihn noch kurz an und machte sich dann wieder auf den Rückweg...
[tbc: nächster Tag]